Interview:

(veröffentlicht in "print process" 23/03, S. 30–31)

Mehr Emotionen fürs Image

Jede Menge Aufwand und Geld stecken Unternehmen jedes Jahr in ihren Geschäftsbericht. Das findet der Kommunikationsexperte Manfred Piwinger gerechtfertigt - als Investition in ein positives Unternehmensimage.

Gespräch: Dorothea Bomba

print process: Herr Piwinger, unter Ihrer Regie sind für das Unternehmen Vorwerk preisgekrönte, viel beachtete Geschäftsberichte entstanden. Welche Funktion können und sollen Geschäftsberichte im Rahmen der Unternehmenskommunikation übernehmen?

Manfred Piwinger: Zunächst sind die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Nach dem Handelsgesetzbuch soll der Jahresbericht ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Unternehmens vermitteln. Das ist die Informationsfunktion. Daneben "repräsentiert" der Geschäftsbericht stets und unvermeidbar auch das betreffende Unternehmen. Gestaltung, die Qualität des Papiers, die Sprache, der Umfang, die Art der Offenheit oder Nichtoffenheit, die Bebilderung und vieles andere mehr wirken auf der Wahrnehmungsebene. Es entstehen Eindrücke, die folgenreich sind und sogar bei der Beurteilung objektiver Zahlen entscheiden, ob man diese so oder so bewertet.

print process: Was zeichnet einen "guten" Geschäftsbericht aus? Welche Kriterien müssen denn erfüllt sein, damit er für das Unternehmen nicht nur Kosten verursacht, sondern auch "Früchte trägt"?

Manfred Piwinger: Gut gemachte Geschäftsberichte, das sind eben solche, die Informations- und die Imagefunktionen ideal miteinander verknüpfen. Ich halte es auch für wichtig, dass der Geschäftsbericht neugierig auf das Unternehmen macht. Das spielt bei Erstkontakten oder bei Bewerbungen eine große Rolle. "Gut" ist ein Geschäftsbericht immer dann, wenn er bei den Empfängern als "gut" empfunden wird und Eindruck hinterlässt. Wer einen - wie Sie sagen - "guten" Jahresbericht machen will, muss an die Leser denken. Viele Unternehmen reden aber nur über sich und "verstecken" sich hinter Zahlen.

print process: Ein Grund dafür ist wohl, dass beim Geschäftsbericht viele Bereiche eines Unternehmens mitreden: Vorstand, Finanzabteilung, Marketing, Kommunikation ...Ihnen allen soll der Jahresbericht gefallen und dadurch wirkt er beliebig.

Manfred Piwinger: Genau. Wie aber kann so eine individuelle Handschrift - wie bei Vorwerk - gefunden werden? Ich rate immer: "Schauen Sie nicht so sehr auf Andere" und "Machen Sie das, was Ihnen selbst Freude macht.". Und vor allem: "Schreiben Sie aus dem Augenblick heraus". Dann wird ein Geschäftsbericht lebendig und lesenswert und bringt die z.T. hohen Kosten im Einzelfall auch wieder herein.

print process: Apropos Kosten. Gibt es da eine Richtschnur?

Manfred Piwinger:. Einem bestimmten Kostenvolumen können Sie gar nicht ausweichen, weil der Geschäftsbericht eine Pflichtpublikation ist In den meisten Börsensegmenten wird eine zusätzliche englische Sprachversion verlangt. Sie müssen aber bedenken, dass der Geschäftsbericht nur Teil der gesamten Finanzkommunikation ist. Um allen Informations- und Dokumentationsverpflichtungen nachzukommen, entstehen insbesonders Unternehmen, die ein Doppellisting haben, also sowohl in Frankfurt als auch in New York notieren, Investitionen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Auf 30 bis 60 Millionen Euro hat unlängst eine Finanzvorstand diesen Teil der Kosten geschätzt. Es bleibt somit die Frage, was ein Unternehmen über das Pflichtgemäße hinaus in einen Geschäftsbericht investieren soll. Die meisten Verantwortlichen vertreten wohl den folgenden Gesichtspunkt:: "Wenn wir schon den Geschäftsbericht machen, dann können wir ihn gleich auch als Imgagebroschüre mit nutzen." Sie versprechen sich zu Recht davon einen Mehrwert.

print process: Gerade für diesen Zweck - so schreiben Sie in Ihrem Buch - seien die formalen Elemente eines Berichts von größter Bedeutung. Warum?

Manfred Piwinger: Die formalen Elemente vermitteln symbolisch Eigenschaften eines Unternehmens. In jedem Geschäftsbericht steht mehr als das, was schwarz auf weiß nachzulesen ist. Eine unübersichtliche Struktur, ein trocken-bürokratischer Tonfall, eine unverständliche Fachsprache oder auch eine fantasielose Bebilderung verraten viel mehr über die Denkweise und die Stimmung im Unternehmen als alles, was direkt behauptet wird. Als Grundregel gilt: Was man selbst für wichtig hält, das kann man nicht direkt aussprechen, das muss sich "zeigen". So kann ein Unternehmen aktiv den Prozess der Imagebildung steuern. Wer im Geschäftsbericht nicht Mut zu Eigenständigkeit, Offenheit und Humor zeigt, dem wird man diese Eigenschaften auch sonst nicht zutrauen.

print process: Welche 'Empfehlungen ergeben sich aus Ihren Erfahrungen zur Bildsprache, zur Typographie und Aufmachung?

Manfred Piwinger: Wenn die Einstellung stimmt, ergeben sich Bild, Typografie und Aufmachung wie von selbst. Darüber muss man dann gar nicht mehr lange nachdenken. Es gibt keine festen Regeln und Formvorschriften. Die Unternehmen könnten diesen Spielraum besser nutzen und Individualtität, Humor und - warum denn nicht? - auch Gefühle zeigen. Ohne Gefühlsbeteiligung funktionier Kommunikation nicht. Und ein Bericht ist deshalb nicht gleich "unseriös", wenn er unterhaltsame Elemente aufweist. Im Gegenteil: Angesicht der Überfülle an Informationen, mit denen die Empfänger von Geschäftsberichten konfrontiert sind, zeigt es Professionalität, wenn die Aufmerksamkeit des Leser geweckt und erhalten wird. Die in fast allen Ländern stattfindenden Geschäftsberichtswettbewerbe fördern sowieso den Trend zur Gleichförmigkeit. Eines will ich trotzdem noch sagen: Tradition hat einen hohen Stellenwert. Das spricht gegen einen häufigen Wechsel in Format und Aufmachung.

print process: In Europa hat sich in den letzten Jahren einiges getan bei Geschäftsberichten - trotz ihrer grundsätzlichen Nüchternheit. Wohin geht der Trend?

Manfred Piwinger: Zum einen werden die Geschäftsberichte voluminöser. Das hat seine Ursache unter anderem darin, dass die Rechnungslegungsvorschriften ausgeweitet worden sind. Beispiele sind die Segmentberichterstattung, der Risikobericht und neuerdings die Entsprechenserklärung zum Corporate Governance Kodex. Seit drei oder vier Jahren berichten die Unternehmen aber auch über den Aktienmarkt, ihre Investor-Relations-Aktivitäten sowie über ihr gesellschaftliches Engagement. Damit ist das Medium "Geschäftsbericht" heute schon überladen. Die Folge sind Umfänge von bis knapp an die 300 Seiten bei großen Aktiengesellschaften. Ich frage Sie, wer - außer unmittelbar interessierte Kreise - hat noch die Zeit, das Ganze zu lesen. Die Berichte werden aber nicht nur voluminöser, sie werden auch immer aufwändiger gestaltet und bebildert.

print process: Was natürlich wieder die Kosten in die Höhe treibt. Wie sehen Sie angesichts dieser Entwicklung die Chancen des gedruckten Geschäftsberichts? Wird er von "nackten", dafür aber aktuellen Internetversionen verdrängt werden?

Manfred Piwinger: Inwieweit das Internet eines Tages die gedruckte Version wird ersetzen können, dazu erlaube ich mir keine Prognose. Über längere Zeit wird beides nebeneinander bestehen. Zum Teil hat das praktische Gründe. Die Veröffentlichungsfristen für Geschäfts- und Zwischenberichte sind in den letzten Jahren immer enger geworden. Viele schaffen es nicht, den Geschäftsbericht nach drei Monaten ausgedruckt zu haben. Also stellen sie ihn erst mal ins Internet und lassen die gedruckte Version später folgen. Und ganz unabhängig von der weiteren technischen Entwicklung und den Nutzergewohnheiten scheint der Mensch doch gerne etwas "in die Hand" zu bekommen. So schnell wird sich das nicht ändern.

© Manfred Piwinger