Darstellung und Selbstdarstellung über den Tod hinaus

Von Vazrik Bazil und Manfred Piwinger

(Der ungekürzte Beitrag ist erschienen in: Bentele, Günter/​Piwinger, Manfred/​Schönborn, Gregor (Hrsg.): Kommunikationsmanagement (Losebl. 2001 ff.) Art.-Nr. 3.103)

In diesem Beitrag erfahren Sie,

1 Einleitung

… und in alle Ewigkeit

Der Spruch „Nach meinen Tod können die Leute von mir sagen, was sie wollen“ stimmt für viele Menschen nicht mehr. Selbstdarstellung endet nicht mit dem Tod. Immer mehr Menschen geben sich Mühe und lassen es sich Geld kosten, die Welt mit persönlichen Worten von ihrem Tod und Leben wissen zu lassen. Sie versuchen, ihren Mitmenschen auch nach ihrem Tode noch das Bild von sich zu vermitteln, das sie von sich geben wollen. Anders gewendet: Wollte man im Leben einen guten Eindruck auf die Mitwelt machen, so will man, dass diese guten Eindrücke auch nach dem Tod weiter bestehen – möglichst für alle Ewigkeit.

Berühmtheit als Droge

Immer mehr Menschen – nicht nur bekannte und berühmte – sind um die Erinnerung an sich in der Nachwelt bemüht. Ihr Name und das, was sie vermeintlich oder tatsächlich geleistet haben, soll nicht so schnell vergessen werden. Diesem Ziel dienen die mannigfaltigen Bemühungen, die sich unter dem Stichwort „Selbstdarstellung über den Tod hinaus“ zusammenfassen lassen.

Die Vorgehensweisen sind dieselben wie bei jeder Art der Selbstdarstellung, die immer dann beginnt, wenn der Ehrgeiz geweckt ist und man etwas sein und etwas darstellen möchte. Positionen im Leben und im Beruf hängen entgegen landläufiger Ansicht weniger von dem tatsächlichen Können ab, sondern im mindestens demselben Maße davon, wie man sich in seiner Umgebung präsentiert und wie es gelingt, sich anderen gegenüber Vorteile zu verschaffen. Ist dies erst einmal gelungen und das eigene Ego auf diese Weise gestärkt, kann man nicht mehr davon lassen. Das ist wie eine Droge. Für Prominente wie Wirtschaftsführer, Politiker, Sportler ist es schwieriger als z. B. für Künstler, sich im Gedächtnis festzusetzen, da diese in diesem Sinne „kein Werk“ hinterlassen können, sondern sich bestenfalls ihrer Taten rühmen können. Ihre „Mittel“ sind frühe Autobiografien und am Ende die selbstverfasste Todesanzeige. In einigen bekannt gewordenen Fällen sogar die Inszenierung des eigenen Todes.

Die Gründe sind nicht immer eindeutig, lassen sich aber auf einige wenige und zusammenhängende Überlegungen zurückführen:

Die Arbeit am (inszenierten) Selbstbild beginnt früh. Chronologisch könnte man die beliebten Instrumente zu dieser Selbstdarstellung wie folgt anordnen: Autobiografie, Grabstätte, Todesanzeige, Nachrufe, Beisetzung, Grabstein, Legenden um letzte Worte des Verstorbenen. An dieser Selbstprofilierung nehmen Betroffene und Angehörige bzw. Freunde mit verschiedenen Abstufungen teil. Je stärker der Drang nach Kontrolle über das eigene Ich manifest ist, desto stärker der Versuch von Einflussnahme der betreffenden Person auf den Einsatz dieser Instrumente bereits zu Lebzeiten.

2 Die Sorge um den ewigen Ruf

Wer über Verstorbene schreibt oder spricht hat eine öffentliche Macht und entscheidet über deren Ruf. Die Nachrufer allemal. Der „Toten Tatenruhm“ ist jedenfalls nicht das einzige, was vom Verstorbenen übrig bleibt.

Der Tod in der Antike

Die Antike wusste um diese Macht Bescheid. Die alten Griechen schätzten Grablyrik und konnten sie bei Poeten bestellen, die dieser Kunst mächtig waren (vgl. Saltzwedel). Totengedenken genoss in Rom hohen Respekt. Es wäre schrecklich, wenn Menschen nicht nur leiblich stürben („damnatio personae“), sondern auch nachträglich in der Erinnerung („damnatio memoriae“). Damnatio memoriae oder Verdammung des Gedächtnisses ist ein Rechtsbegriff und stammt aus dem römischen Staats- und Strafrecht. Sie traf als Strafe Herrscher, die bei einem politischen Ereignis zu „Staatsfeinden“ erklärt wurden. Man zerstörte ihre Bilder, stürzte ihre Statuen, meißelte ihre Namen aus Inschriften heraus und verordnete Schweigen, um „jegliches Gedenken aus der Welt zu schaffen“ („abolendam omnem memoriam“) (vgl. Weinrich 2005; Werner 1995).

3. Formen der (Selbst-)Darstellung

3.1 Autobiografien

Ein Denkmal für alle Zeiten

Sogenannte „Autobiografien“ sind im Vorfeld, also vor dem Tod und oft schon in verhältnismäßig jungen Jahren, häufig gebrauchte Mittel, die auf das eigene Andenken nach dem Tod hinwirken sollen. Zu Lebzeiten dienen sie „ganz nebenbei“ einer robusten Selbstvermarktung, haben aber bereits auch den so sehr erwünschten Nachruhm fest im Blick. Im Gegensatz zur situationellen Selbstdarstellung eignet sich die Autobiografie besonders gut dazu, sich ein Denkmal „für alle Zeiten“ zu setzen. Eine wahre Fundgrube von Selbstdarstellungstechniken sind die Autobiografien von Managern, wie z. B. „Meine wahren Memoiren“ (Jean-Marie Messier), „Die Macht der Freiheit“ (Hans Olaf Henkel), „Was zählt. Die Autobiografie des besten Managers der Welt“ (Jack Welch), „Schein und Wirklichkeit“ (Edzard Reuter), „Auto. Biografie“ (Ferdinand Piech) usw. Diese Bücher liefern zwar biografische Fakten, ihr Hauptaugenmerk aber liegt auf deren Interpretation. Da bei Prominenten ihr Leben bzw. Teile davon der Öffentlichkeit bekannt sind, werden bekannte Fakten, soweit sie negativ waren, umgedeutet und unbekannte herangezogen, soweit sie dem Ansehen des Autors zuträglich sind. Entscheidend ist, dass der Autor für die Nachwelt in einem positiven Licht erscheint. Auch politische Biografien gehören dazu. Jeder Mensch möchte schließlich etwas sein und etwas darstellen. Erst dann spielt er im Leben eine Rolle und findet Anerkennung und Zuspruch. Nicht erklären, sondern verklären, lautet das Ziel. Goethes Autobiografie trägt den bezeichnenden Titel „Dichtung und Wahrheit“. Nackte Wahrheit und wohlwollende Dichtung verschränken sich oft. Autobiografien zielen auf die Erinnerung der nachfolgenden Generation. Die Erinnerung ist also nicht nur „retrospektiv“ (Assmann 2013: 61), sondern auch „prospektiv“ (ebd.).

3.2 Grabstätten

Die Lage macht den Unterschied

Selbstdarstellung über den Tod hinaus beginnt bereits mit der Auswahl des „richtigen“ Friedhofs und der Grabstätte. „Prominentenfriedhöfe“ enthalten schon in dieser Bezeichnung die erste wichtige Botschaft: Wer auf diesem Friedhof begraben ist, hat den Status der „Prominenz“ inne. Auch die Größe des Grabes, die Form und Gestalt des Grabsteins belegen die Bedeutung des Gestorbenen. „Geachtet“ wird auch darauf, „wer neben einem liegt“. Auf dem Wiener Zentralfriedhof, wo viele der Großen aus der Musikwelt begraben liegen, wird das sehr anschaulich. Gleich und gleich gesellt sich gern, gilt auch noch nach dem Tode. Doch selbst auf „normalen“ Friedhöfen lässt sich so etwas wie eine Bestattungshierarchie beobachten.

Durch die Architektur und die Gestaltung des Friedhofes ergeben sich verschiedene Lagen. Ähnlich, wie man den Platz für den Bau seines Hauses aussucht, will man nicht irgendwo auf dem Friedhof begraben werden. Ein besonders beliebter Platz war die sogenannte Wandstelle, und wer einen Namen hatte, oder dies glaubte, fand Mittel und Wege, sich hier eine Grabstelle zu sichern. Schreitet man heute die Friedhofsmauern entlang, liest man Namen von Bankherren, Anwälten, Fabrikbesitzern, Kaufleuten und Verlegern. Auch die Wissenschaft hatte für sich meist eine eigene Ecke gefunden. So entstanden auf dem Leipziger Südfriedhof die Universitätsrabatten. Sie werden auch scherzhaft „Professorenecke“ genannt. Andere begehrte Plätze waren die sogenannten Wahlstellen, die sich durch eine besonders schöne Lage auszeichneten. Im Gegensatz zum nicht mehr vorhandenen Trend zu riesigen Grabmälern ist die Wahl des Begräbnisortes auch heute noch eine wichtige Entscheidung.

Über ein Musterbeispiel, wie man sich später „unsterblich“ machen will, berichtete Die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2009 unter der Überschrift „Ein Grab für einen König. Wolfgang Grupps Privatfriedhof“, dass Trigema-Chef Wolfgang Grupp wenige Meter entfernt vom alten Burladinger Friedhof, in Sichtweite der katholischen Kirche St. Fidelis, ein neues Familiengrab bauen lässt – 45 m lang und 15 m breit, umsäumt von einer weißen Mauer. Das Areal ist für sechs Gräber vorgesehen, obwohl es durchaus bis hundert umfassen könnte. Den Grund benennt Wolfgang Grupp selbst: „Meine Verpflichtung ist es, das fortzusetzen, was meine Großeltern und Eltern geschaffen haben, das betrifft das Unternehmen und das Familiengrab, das meine Großeltern hatten“ (FAZ vom 2.7.09: 9).

3.3 Todesanzeigen

Weil Todes- und Traueranzeigen öffentliche Trauerbekundungen sind, klaffen zwei Bestrebungen auseinander. Und ergeben Konfliktsituationen. Einerseits ist Trauer privat und individuell, andererseits ist die Veröffentlichung eine öffentliche Handlung und konventionell. Die kommunikative Praxis, den Tod eines Menschen durch die Zeitung kundzutun, ist übrigens erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts etabliert worden, aber seitdem hat sich das Ritual auch gewandelt (vgl. Stein 2012: 166). Die elektronischen Medien haben diese Veränderungen beschleunigt.

Themen von Traueranzeigen

Seit den 1970er Jahren werden Traueranzeigen zunehmend individueller formuliert. Anleihen beim Muster der Briefkommunikation aus der Sicht des Hinterbliebenen werden öfter praktiziert (vgl. Stein 2012: 166). Thematisiert werden nicht bloß der Tod des Verstorbenen, sondern die Trauer der Hinterbliebenen und der Abschiedsschmerz. Die Teilhandlung „Trauer bekunden“ wird kombiniert mit emotionalen Befindlichkeiten wie Dank, Liebe, Schmerz, Erschütterung, Bestürzung usw. In familiären Anzeigen überwiegen Dankbarkeit, Liebe und Trauer; in geschäftlichen Anzeigen Trauer, Bestürzung, Betroffenheit (vgl. Stein 2012: 168).

Die Hinterbliebenen thematisieren ihre Fassungslosigkeit, ihren Schmerz („Warum musstest Du von uns gehen in den Zeiten unseres größten Glücks?“), geben eine persönliche Würdigung („Unser geliebter Vater hat uns verlassen“), betonen die Intensität des Verlustes („Es hätte so schön sein können“) (vgl. Stein 2012: 172 ff.).

Typische Formulierungen

Wendungen in privaten und geschäftlichen Anzeigen sind:

In geschäftlichen Anzeigen:

Religiöse Bekenntnisse werden weniger. Inhalt und Form drücken Zeitgeist und Geschmack aus. Ein ehemaliger Pilot hat „zu seinem letzten Flug abgehoben“, einem Jäger wurde „zum letzten Halali geblasen“ oder einem Architekten wurde „der Bleistift aus der Hand genommen“, ein 80-jähriger früherer Generalfeldmarschall der Reichswehr „meldet sich ab“ vom irdischen Dasein (vgl. Rehnolt).

Betriebliche Traueranzeigen

Betriebliche Traueranzeigen sind oft phrasenhaft und hohl. Selten verspürt man den Eindruck, dass das Unternehmen sich angestrengt hat, die Individualität des Verstorbenen und die Trauer über seinen Tod auf eine unverwechselbare und glaubhafte Weise zum Ausdruck zu bringen. Eine Todesanzeige der TU Darmstadt enthielt einmal die Formulierung: „Wir haben die traurige Pflicht, Sie vom Tode unseres hochgeschätzten Kollegen … in Kenntnis zu setzen.“. Was ist traurig? Die Pflicht oder sind die Kollegen traurig? Häufig bekommt man zu lesen: „Mit ihm starb …“3 Traueranzeigen von Unternehmen enthalten im Allgemeinen eine Schilderung des beruflichen Werdegangs des Verstorbenen und Hinweise auf seine Verdienste. Ein Paradebeispiel dafür ist die ganzseitige Anzeige – von oben bis unten mit Text gefüllt – zum Tod des Aldi-Unternehmensgründers Theo Albrecht (29. Juli 2010). Der Ausdruck von Betroffenheit (nicht gemeint: „Wir sind betroffen“) ist selten zu spüren. Die Texte unterliegen einer allgemeinen Routine und unterscheiden sich bestenfalls durch das Format der Traueranzeige. Sie lesen sich wie Bewerbungsschreiben für das Jenseits.

3.4 Nachrufe

Über Tote sagt man nur Gutes

Für Nachrufe gilt bis heute der Grundsatz: Über Tote sagt man nur Gutes („de mortuis nil nisi bene“). So hat z. B. unter den 40 „immortels“ (Unsterblichen), die auf Lebenszeit dem noblen Zirkel der Académie française angehören dürfen, ein neu ernanntes Mitglied als Erstes die feierliche „Eloge“ auf den bisherigen Inhaber des Ehrensessels zu verfassen (vgl. Saltzwedel).

Selbstverfasste Nachrufe

Selbstverfasste Nachrufe beschränken sich nicht mehr allein auf Berühmtheiten. Für viele ist die selbstverfasste Todesanzeige die letzte Möglichkeit, auf ihre Wahrnehmung Einfluss ausüben zu können. „Der Mensch ist nichts als eine Ware auf dem Persönlichkeitsmarkt“, der sich „nicht um sein Leben, sondern um seine Verkäuflichkeit kümmert“, schrieb einst Erich Fromm.

Ein Beispiel, welches hierzu passt, ist die selbstverfasste Todesanzeige des Unternehmers Willi Maurer (Hersteller des Spülmittels REI, das mit dem Slogan „Morgens REI und mittags frei“ beworben wurde). Als er 1976 starb, erschien in zahlreichen Zeitungen „sein hakennasiges Profil“ nebst selbstverfasstem Nachruf.

Ein Mann von „hektischer Eile“, der „manchen verprellt“ zu haben glaubte, bat um Nachsicht für die „vielen kleinen Unordentlichkeiten und Unberechenbarkeiten“ in seinem „bewusst gelebten Leben“. Den Text tippte er eigenhändig vor Jahresfrist und ordnete zugleich auf dem gleichen Blatt eine Veröffentlichung in der „Frankfurter Allgemeinen“, der „Welt“ und dem SPIEGEL an. Sein Wille geschah, nachdem ihn ein neuerlicher Infarkt getroffen hatte.

Ungewöhnlich ist es sicherlich, wenn ich mich noch einmal an alle Freunde wende und an die Menschen, die mir einmal begegnet sind. Unser aller Leben geht einmal zu Ende – so auch das meine. Und wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich längst zum letzten Mal tief und vernehmlich geatmet. Fertig sind wir nie, und trotzdem müssen wir abtreten. Niemand kann sich den Zeitpunkt auswählen. Und so ist es gut, sich zur rechten Zeit darauf vorzubereiten, um nicht arg überrascht zu werden. Bedanken will ich mich bei allen Menschen, die einmal meinen Weg kreuzten – im Guten und im Nichtguten. Vielleicht haben sie heute Nachsicht mit mir und meinem mir in die Wiege gelegten Temperament und meiner Veranlagung. Meine hektische Eile und mein manchmal notwendiges, wenig nachgiebiges Durchstehen haben sicher manchen verprellt. Doch lebt nicht jeder nach seinem eigenen Gesetz?! Wer seinen klaren, ihm aufgezeigten Weg geht, hat nicht allzu viele Freunde. Und um sich aus eigener Kraft aus dem endlosen Meer der Namenlosen herauszurecken muss man sich ein Leben lang bemühen und anstrengen. Ein in Vernunft und mit Verstand gelebtes Leben hat seine fest gefügte Ordnung. Oft genug und weit genug war ich davon entfernt. Die vielen kleinen Unordentlichkeiten und Unberechenbarkeiten in so vielen Stunden und Tagen, die das Dasein erst so lebens- und liebenswert machten und mir die Menschen so nahe brachten, waren gleichwohl Versäumnisse – trotzdem durften sie in meinem bewusst gelebten Leben nicht fehlen. Ich hoffe, trotz allem einen gütigen und verständnisvollen Richter zu finden – denn nach christlicher Erkenntnis ist am Ziel unseres Erdenlebens unser Dasein noch nicht zu Ende.“

(Frankfurter Allgemeine Zeitung von Freitag, dem 4. Juni 1976, Nr. 120: 28)

In dieser Anzeige finden sich die Umrisse eines Selbstbildes, das der Verstorbene von sich zeichnen wollte. Er war einer, der

Todesanzeigen für Mitarbeiter

In Unternehmen ist nicht immer eindeutig geregelt, wer für die Formulierung von Traueranzeigen verantwortlich ist. Für normal sterbliche Mitarbeiter dürfte das in der Regel die Personalabteilung (neudeutsch: Human Resources) sein. Sie verfügt über die entsprechenden Personaldaten und hat diese schnell zur Hand. In vielen Fällen sind Textbausteine hinterlegt, die je nach Rang des Verstorbenen variiert werden. Alle waren „pflichtbewusst“, „zuverlässig“ und „geschätzt“. Ihr Tod wird „bedauert“ und den Angehörigen Beileid bekundet. In dieser Formelhaftigkeit und Routine drückt sich selten wirkliche Trauer und Bedauern über den Verlust eines Kollegen aus. Das wird innerhalb der Belegschaft sehr wohl bemerkt und kann zu Reaktionen führen wie: „Da hast du dich ein ganzes Leben lang abgerackert, und dann wird dir das nicht einmal richtig gedankt.“ Richtig ist zwar, dass es in Großkonzernen eines außerordentlichen Aufwands bedarf, für jeden verstorbenen Mitarbeitenden eine ihm gerecht werdende individuelle Anzeige zu verfassen. Doch sollte dies nicht als „Ausrede“ herhalten. Auch Großkonzerne sind kleinteilig organisiert und haben vor Ort durchaus Möglichkeiten, lieblos und bürokratisch formulierte Traueranzeigen zu vermeiden.

Todesanzeigen für Vorstandsmitglieder etc.

Komplett anders stellt sich die Situation bei Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführern und anderen Angestellten in leitender Funktion dar. Hier werden im Fall der Fälle auf der höchsten Ebene Größe und Formulierung der Anzeige sowie die Auswahl der Medien „geregelt“. Es gibt keine genaueren Untersuchungen darüber, inwieweit Unternehmen auch auf „plötzliche Ereignisse“ vorbereitet sind. Persönliche Erfahrungen gehen aber dahin, dass in gut geführten Unternehmen entsprechende Abläufe vorgeplant sind. Nicht selten ohne Kenntnis der Betroffenen auch schon deren Nachrufe. Das kann sehr hilfreich sein, wenn eine wichtige Persönlichkeit „plötzlich mitten aus dem Leben gerissen“ wird. Weil die Inszenierung des letzten Auftritts stets auch Rückwirkungen auf die Reputation des betreffenden Unternehmens hat, scheint es angebracht, die Zuständigkeit oder Mitverantwortung, vor allem im Sinne eines angemessenen Vorgehens und die Vorbereitung darauf, in die Hände der Kommunikationsverantwortlichen zu legen. Die Personalabteilung ist dafür der falsche Ort.

3.5 Grabsteine

Im Gegensatz zu den Todesanzeigen beschränken sich die Aussagen auf Grabsteinen meist auf Name des Verstorbenen, Geburts- und Sterbedatum evtl. ergänzt um den Geburtsort. wird zumeist mit erwähnt. Formulierungen wie „Hier ruht in Frieden“ runden oftmals das Ganze ab. Bei Verstorbenen mit einer herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung (z. B. Professor, Unternehmer) wird dies zumeist auch kundgetan. Ansonsten ist es die Größe und die Exklusivität des Grabsteins, die die Bedeutung des Toten unterstreicht.

Grabsteine mit QR-Code

Grabsteine werden neuerdings auch mit QR-Code versehen, den man mit dem Smartphone oder dem Tablet-Computer abfotografieren kann, um zur virtuellen Gedenkstätte des Toten zu gelangen. Die quadratischen Embleme können, ähnlich wie Barcodes, mit einem modernen Mobiltelefon eingescannt werden. Dadurch öffnet sich automatisch eine Internetseite, auf der die Hinterbliebenen die Erinnerung an einen Verstorbenen lebendig halten können. Die Hinterbliebenen geben den Verstorbenen einen neuen Platz in der Erinnerung. Das Zusammenstellen solcher Rückblenden ist im Internet oft einfacher. Was sich hinter dem QR-Code befindet, können die Angehörigen frei entscheiden. Von der einfachen Namensnennung mit Sterbedatum bis zu umfangreichen Sammlungen von Fotos, Videos und Musik, die mit dem Verblichenen in Zusammenhang stehen, ist alles möglich. Die jüngere Generation, deren Sozialverhalten von sozialen Medien geprägt ist, wird das als etwas ganz normales erleben (vgl. www.steinbildhauerei-vincent.de, Internet-Grabstein: QR-Code speichert Erinnerung).

Forever Memorials“

Diese neuen Möglichkeiten scheinen auch die althergebrachte Friedhofskultur zu verändern. In Hollywood wurde ein Friedhof eröffnet, auf dem neben Grabsteinen Säulen aus Metall stehen, in die ein Bildschirm und zwei Lautsprecher eingebaut sind. Das Unternehmen „Forever Memorials“ geht hier einen neuen Weg des Gedenkens. Statt einer Inschrift werden aus Fotografien, Video- und Tonbandaufnahmen des Verstorbenen kurze Filme produziert. Diese kleinen Biografien werden durch junge Filmemacher realisiert und kosten nicht wenig. Der Besucher des Friedhofs kann sich dann diese Filme ansehen (vgl. www.foreverclosememorials.co.uk).

3.6 Die letzten Worte

Posthum erfunden

Wenn namhafte Menschen sterben, bilden sich Legenden um die letzten Minuten ihres Sterbens und um die letzten Worte, die sie vor ihrem Tod ausgesprochen haben. Diese letzten Worte sind oft posthum erdichtet worden und sollen den auszeichnenden Zug der verstorbenen Person zum Vorschein bringen – besonders deutliche bei Marlene Dietrich und Oscar Wilde.

Hier einige Beispiele (vgl. Halter 2011):

4 Virtuelle Gedenkstätten

Mail-Konten nach dem Tode

Wer bei Web.de oder GMX das Postfach auflösen will, muss die Sterbeurkunde des Nutzers vorlegen; um Zugang zu den Mails zu erhalten, bedarf es des Erbscheins. Das US-Unternehmen Google gibt die Zugänge für G-Mail-Konten oder für Google+ erst heraus, wenn ein amerikanisches Gericht es dazu verpflichtet. Facebook dagegen stellt es den Angehörigen frei, gegen Vorlage einer Sterbeurkunde den Account zu löschen oder ihn ohne amtliche Dokumente umwandeln zu lassen in einen Gedenkzustand. Der Verstorbene wird dann niemandem mehr als Kontakt vorgeschlagen. Die Seite aber bleibt seinen Freunden erhalten, und sie können dort noch Nachrichten hinterlassen. Nicht immer besteht unter den Trauernden Einigkeit über die Verwaltung des digitalen Erbes.

Ungeahnte Ausmaße

Groß in Mode gekommen sind virtuelle Friedhöfe, auf denen man sich bzw. den Verstorbenen präsentieren kann (vgl. www.virtual-memorials.com). Im Gegensatz zum herkömmlichen Friedhof gewinnt hier die Selbstdarstellung ganz andere Ausmaße. Durch Homepages mit Gedichten, Erzählungen, Videos und Bildern aus dem Leben des Verstorbenen geht die Totenerinnerung weit über einen einfachen Grabstein hinaus.

Das Netz ist der perfekte Ort für Ersatzhandlungen, es verspricht Freundschaften ohne Verpflichtungen, Sex ohne Körperkontakt – und eben auch Trauer light. Wie kondoliert man auf Facebook, vor Publikum? Natürlich fällt es einem ungleich leichter, ein fröhliches Kinderfoto oder einen zum Positiven veränderten Beziehungsstatus zu kommentieren als den Verlust eines Freundes (vgl. Kühn/Laub).

Bereits zu Lebzeiten können sich die User eine virtuelle Gedenkstätte schaffen und mit Bildern, Filmen, Lieblingsrezepten und Dokumenten das eigene Leben preisen. Die „Gedenkstätte“ wird nach dem Tod des Kunden freigeschaltet und kann dann von Angehörigen und Freunden besucht und mit Kommentaren versehen werden. Das eigene Konto mit allen Rechten kann dabei an andere User „weitervererbt“ werden. So können die Kunden in einem gesicherten virtuellen „Tresor“ wichtige Dokumente oder Kontodaten lagern, die nach dem Tod einem vorab definierten Personenkreis zugeschickt werden. Über Google Maps lassen sich die realen Friedhöfe miteinander verknüpfen, um eine Art digitales Familien- oder Gruppengrab zu schaffen. Aber nicht nur für den „Eigenbedarf“, auch für andere Personen kann eine Gedenkstätte errichtet werden – Haustiere eingeschlossen (vgl. Stayalive mit Helmut Markwort: Trauern im Social Web).

5 Fazit

Die klassische Form des Totengedenkens ist die Eloge. Während diese in früheren Zeiten berühmten Menschen vorbehalten war, um sie als Beispiel den nachfolgenden Generationen zur Nachahmung zu empfehlen, versuchen heute immer mehr Menschen die Person der Verstorbenen mittels verschiedener Instrumente wie Anzeigen, Grabsprüche oder Internet inszenatorisch darzustellen. Das meiste Interesse an der „richtigen“ Darstellung haben die Verstorbenen selbst, welche zu ihren Lebzeiten ihr Selbstbild planen und es auch teils umsetzen. Die virtuelle Welt hat dem Impression Management neue Möglichkeiten eröffnet, wie virtuelle Grabstätten, QR-Codes, Social-Media-Präsentationen, die bereits genutzt werden und vermutlich in Zukunft noch mehr an Beliebtheit gewinnen werden. Prominenten hat der Bundesgerichtshof sogar „postmortales Persönlichkeitsrecht“ eingeräumt. Bei ungenehmigter Vermarktung von Prominenten steht zu Lebzeiten ihnen selbst und nach ihrem Tod deren Erben ein Schadensersatzanspruch zu (vgl. Kerscher).

Wenn es um fremde Nachrufe geht, beklagte der österreichische Kritiker Alfred Polgar (1873–1955), dass sie letztlich auf „ein gutes Abgangszeugnis“ hinausliefen. „In der Beziehung zu den andern also – das hören wir, wenn wir's nicht mehr hören können – bestand unser Wert, und als unsere Güte, Schönheit, Richtigkeit gilt das, was die andern Gutes, Schönes, Richtiges aus uns gewonnen haben“ (zit. nach Saltzwedel). Aber, fragt er, lerne man einen verstorbenen Kellner denn besser kennen durch das Lob, er habe „niemals Sauce verschüttet“? Gehe es nicht vielmehr um das Unverwechselbare des Toten? Nachrufe sollte man nicht als letzte Urteilsverkündung ansehen, schlug Polgar vor, sondern aus scheinbar läppischen, in Wahrheit aber besonders charakteristischen Merkmalen komponieren, zum Beispiel: „Er sprach Tenor und lachte Bass.“


1
Französische Adlige schminkten sich vor dem Gang zum Schafott kräftig, um dem Publikum bis zuletzt eine perfekte „Maske“ zu zeigen.)
2
Über das beliebte Wort „tragisch“, das in Todesanzeigen oft verwendet wird, schreibt Asserate (2003: 309): „… ein Verkehrsunfall, eine schwere Krankheit oder selbst ein Mordanschlag“ sind „etwas sehr Schlimmes, aber beinahe niemals etwas Tragisches.“.)
3
„Haben Sie schon gehört, dass Kollege Schulze gestorben ist?“ „Ja, ich habe die Todesanzeige gelesen. Ich frage mich nur, wer mit wem gestorben ist.“ „Wie kommen Sie darauf?“ „In der Anzeige stand: ‚Mit ihm ist einer unserer besten Mitarbeiter gestorben‘ …“ (unbekannte Quelle)